Lieselotte Michel
geboren am 5. Juli 1926 in Volkmarsen, Hessen, Deutschland
ermordet am 26. März 1943 in der deutschen Mordstätte Sobibor
Familie
Lebensdaten
3 Generationen der Familie Michel, Oma Betty, Mutter Erna und Lieselotte
Halskette von Lieselotte Michel, ihre Mutter hatte sie kurz vor der Deportation dem Nachbarkind, Lieselottes Freundin, Josephine Langer geschenkt
Biografie
Die Familie Meyerhoff gab es seit Anfang des 18. Jahrhunderts im nordhessischen Volkmarsen. Seit den 1830er Jahren gab es am Ort eine Synagoge, die 1936 verkauft wurde. 1932 existierten zwei jüdische Wohltätigkeitsvereine und es gab einen Lehrer für jüdische Religion. 1933 lebten noch 34 Jüdinnen und Juden in Volkmarsen. Sie trieben Handel oder waren Handwerker. Fünf jüdische Männer aus Volkmarsen fielen im Ersten Weltkrieg.
Selbstmord des Vaters
Die Eltern von Lieselotte Michel waren Erna, geborene Meyerhoff, und Siegmund Michel. Sie hatten am 23. Oktober 1925 geheiratet. Die junge Familie wohnte bei den Eltern mütterlicherseits in der Geilingstrasse 11. Dort hatten ihre Großeltern in ihrem eigenen Haus seit vielen Jahren einen Gemischtwarenladen. Mit acht Jahren, im März 1934 verlor Lieselotte ihren Vater; er nahm sich im dreißig Kilometer entfernten Korbach im „Hotel Zur Post“ das Leben.
Sie und ihre Mutter, die nun verwitwete Erna Michel, blieben bei den Großeltern Betty Meyerhoff, geborene Oppenheim, und Abraham Meyerhoff wohnen. Lieselotte wurde 1932 in die Katholische Volksschule Volkmarsen eingeschult. 1933, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und den damit einhergehenden Boykottmaßnahmen, Handels-, Arbeitsverboten und Zwangsabgaben für Jüdinnen und Juden, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie Michel/Meyerhoff schnell. Immer weniger Kunden wagten es, bei ihnen einzukaufen. Der Familie wurde damit die Existenzgrundlage entzogen.
Nach 1938
In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde wie bei ihren jüdischen Nachbarn durch die SA, unterstützt von Volkmarser Bürgern, ihr Haus überfallen, demoliert und ausgeraubt. In den Wochen nach diesen Übergriffen wurde ihr Haus staatlich konfisziert. Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Volkmarsens mussten ihre Häuser verlassen und wurden im ehemaligen jüdischen Schulhaus in der Geilingstraße 13 einquartiert. Auch Lieselottes Mutter und ihre Großeltern wurden beengt im jüdischen Schulhaus konzentriert. Für sie galten eine Reihe von Einschränkungen. Es gab ein nächtliches Ausgangsverbot. Den jüdischen Familien wurden sehr knappe Lebensmittelmarken zugeteilt, für sie gab es weder Milch, noch Fleisch, noch Eier. Einige wenige christliche Volkmarser Bürgerinnen und Bürger unterstützten sie.
Einige europäische Länder nahmen nach der Pogromnacht schnell und unbürokratisch jüdische Kinder auf. Sicherlich schweren Herzens aber mit der Hoffnung auf mehr Sicherheit für ihre Kinder, bemühten sich Eltern um einen Platz in einem dieser Transporte. Von einer befreundeten Familie am Ort hörte Lieselotte Michels Mutter von den Kindertransporten in die Niederlande, wo die Kinder sogar eine Schule besuchen könnten. Am 3. Januar 1939 fuhr die 13-jährige Lieselotte, zusammen mit Ilse und Inge Lichtenstein aus Volkmarsen und weiteren 147 Kindern aus der Region Kassel ins niederländische Bergen aan Zee. Allerdings war Bergen nicht ihre letzte Station: ab März 1939 kam sie in ein Kinderheim in Amsterdam, danach lebte sie eineinhalb Jahre in der Familie des Rabbiners Philip Frank und seiner Frau Bertha in Amsterdam und Haarlem.
Die Deportation der Mutter und Großeltern
Ab 1941 begannen die Deportationen von Jüdinnen und Juden in den Osten. Den Betroffenen wurde eine „Umsiedlung“ mit der anschließend möglichen Existenzgründung vorgegaukelt. Aus Kassel fuhren insgesamt drei große Deportationszüge in den Osten.
Die in Volkmarsen verbliebene Mutter von Lieselotte, Rosa Erna Michel, wurde Ende Mai 1942 in die `Sammelstelle´ in der Turnhalle des Schulkomplexes in der Kasseler Schillerstraße bestellt. Kurz vor ihrer Abfahrt hatte Rosa Erna Michel noch eine Kette ihrer Tochter Lieselotte als Abschiedsgeschenk an eine Freundin verschenkt, die erhalten blieb. Mit dem zweiten großen Deportationszug aus Kassel wurden am Morgen des 1. Juni 1942 insgesamt 508 Jüdinnen und Juden aus dem Geheimen Staatspolizeibezirk Kassel zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Als Ziel des Sonderzugs „Da 57“ war Izbica im Generalgouvernement angegeben, nach einem Stopp in Lublin fuhr der Zug nicht nach Izbica, sondern direkt in die Mordstätte Sobibor, wo er am 3. Juni 1942 ankam. Lieselottes Mutter Erna Michel wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sobibor ermordet.
Auch Lieselottes Großeltern, Albert und Betty Meyerhoff - 74 und 76 Jahre alt -, bei denen sie in Volkmarsen mit ihrer Mutter und ihrem Vater gelebt hatte, wurden drei Monate später, am 8. September 1942, von Kassel aus nach Theresienstadt und am 29. September 1942 ins Todeslager Treblinka deportiert und dort ermordet.
Mit der Besetzung der Niederlande am 10. Mai 1940 durch die Deutschen verschärfte sich die Situation der aus Deutschland geflüchteten Kinder. In den Niederlanden setzte nun auch die Verfolgung sowohl der Flüchtlinge als auch der niederländischen Jüdinnen und Juden ein. Das nun letzte noch lebende Familienmitglied der Familien Michel/Meyerhoff, Lieselotte Michel, wurde von Juni 1941 bis Januar 1943 bei der jüdischen Familie van Spiegel in Deventer untergebracht. Simon und Marianne van Spiegel hatten eine kleine Tochter. Die Familie und Lieselotte mussten im Januar 1943 Deventer verlassen und nach Amsterdam ziehen.
Neue Pflegefamilie
Mit der Besetzung der Niederlande am 10. Mai 1940 durch die Deutschen verschärfte sich die Situation der aus Deutschland geflüchteten Kinder. In den Niederlanden setzte nun auch die Verfolgung sowohl der Flüchtlinge als auch der niederländischen Jüdinnen und Juden ein. Das nun letzte noch lebende Familienmitglied der Familien Michel/Meyerhoff, Lieselotte Michel, wurde von Juni 1941 bis Januar 1943 bei der jüdischen Familie van Spiegel in Deventer untergebracht. Simon und Marianne van Spiegel hatten eine kleine Tochter. Die Familie und Lieselotte mussten im Januar 1943 Deventer verlassen und nach Amsterdam ziehen.
Deportation nach Sobibor
Ein dreiviertel Jahr nach ihrer Mutter, am 23. März 1943, musste Lieselotte Michel in den Niederlanden zusammen mit insgesamt 1250 Jüdinnen und Juden vom „Polizeilichen Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ aus ebenfalls die Fahrt nach Sobibor antreten. Die Fahrt im Viehwaggon dauerte drei Tage. Lieselotte Michel wurde direkt nach ihrer Ankunft, am 26. März 1943, im Todeslager ermordet. Lieselotte Michel fand ihren Tod zusammen mit der Mutter mütterlicherseits aus ihrer niederländischen Pflegefamilie. Sie fuhren im selben Zug nach Sobibor. Einige Wochen später wurden auch ihre Pflegeeltern mit ihrer kleinen Tochter nach Sobibor verschleppt. Sie wurden am 16. Juli 1943 in Sobibor ermordet.
Seit 1999 erinnert ein Straßenname in Volkmarsen, der „Lieselotte-Michel-Ring“, an die mit 16 Jahren in der Mordstätte Sobibor ermordete Lieselotte Michel.
In Deventer liegt seit 2022 auch ein Stolperstein für Lieselotte Michel vor dem Haus ihrer damaligen Pflegefamilie.
Verwendete Dokumente und Literatur
Website des Archivs ITS Arolsen
Website Gedenkbuch des Bundesarchivs
Website Dokin - Informationen zu Kinder aus Kindertransporten in die Niederlande
Website Statistik des Holocaust
Website Alemmannia Judaica-Volkmarsen
Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005
Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018
Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998
Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012
Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang Prinz, Ein Gedenkbuch, 1982
Lilienthal, Marion u.a. (Hg.), Auf Omas Geburtstag fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt, 2013