Flucht und Widerstand
Die ständige Androhung und Erfahrung von Gewalt sollten sowohl die im Lager neu Eintreffenden als auch die jüdischen Zwangsarbeiter*innen davon abhalten, Widerstand zu leisten. Dennoch kam es immer wieder zu Vorfällen, bei denen Einzelne nach ihrer Ankunft in Sobibór angesichts ihrer verzweifelten Situation ihre Bewacher angriffen oder beschimpften.
Zu den ersten jüdischen Gefangen in Sobibor gehörte der Überlebende Abraham Margulies. Er wurde im Mai 1942 von Zamosc in das Lager verschleppt. 1965 erinnerte er sich:
„Wir zählten knapp über zehn Jahre und wollten so sehr leben. Es ist also nicht verwunderlich, dass vom ersten Tage des Aufenthalts im Lager an verschiedene Gedanken und Kombinationen über die Möglichkeit einer Flucht sich in den Kopf drängten.“
Trotz der angedrohten Strafen kam es immer wieder zu Fluchten und Fluchtversuchen. So hatten beispielsweise die jüdischen Gefangenen im Lager III einen Tunnel gegraben, durch den sie fliehen wollten. Unmittelbar vor dessen Fertigstellung wurde er entdeckt und in der Folge die Mehrzahl der Gefangenen im Lager III ermordet. Wegen Verrats misslang ein weiterer Fluchtplan holländischer Gefangener. Es gab auch erfolgreiche Fluchten. Kurz nach Weihnachten 1942 flüchteten fünf Jüdinnen und zwei Trawniki aus dem Lager III. Von einer Frau und den beiden Trawniki ist das weitere Schicksal bekannt: Sie wurden in einem vierzig Kilometer entfernten Dorf gestellt und erschossen. Im Juli 1943 floh ein Teil des Waldkommandos, nachdem sie einen ihrer Bewacher überwältigen und töten konnten.
Der Aufstand in Sobibor
Im späten Frühjahr 1943 entstand eine Widerstandsgruppe unter den jüdischen Gefangenen. Leon Felhendler soll einer der führenden Köpfe dieser Gruppe gewesen sein. Mit einem Aufstand wollten die Gefangenen den Mord in Sobibór beenden. Als im September 1943 ein Transport von Jüdinnen und Juden aus Minsk in Sobibór eintraf, befanden sich unter ihnen auch jüdische sowjetische Kriegsgefangene, die zur Zwangsarbeit ins Lager gebracht wurden. Leon Felhendler nahm Kontakt zu ihnen auf und sie planten nun gemeinsam einen Aufstand. Am 14. Oktober 1943 wurde der Plan umgesetzt. Einzelne SS-Männer wurden zu einem verabredeten Zeitpunkt unter einem Vorwand in Werkstätten gelockt und dort getötet. Insgesamt fanden elf deutsche Täter an diesem Tag den Tod durch jüdische Gefangene. Kurz vor dem täglichen Appell in Lager I begann der Lageraufstand. Die Gefangenen stürmten unter den Gewehrsalven der Wachmannschaften aus dem Lager in Richtung des rettenden Waldes. Viele starben beim Versuch, den Zaun und das Minenfeld zu überwinden. Nicht alle Gefangenen ergriffen die Flucht. Einige wollten den Ort nicht verlassen, an dem ihre Familie vergraben war, andere sahen in der Flucht keine Perspektive. Die jüdischen Gefangenen aus den Lagern III und IV konnten sich den Flüchtenden nicht anschließen. Etwa 300 Jüdinnen und Juden konnten am 14. Oktober 1943 in die Wälder flüchten. Die Deutschen verfolgten sie mit einer gnadenlosen Hetzjagd. Für die Geflohenen gab es keinen sicheren Ort. Zur Beschaffung von Essen und Unterkunft mussten sie sich Fremden anvertrauen, die sie jederzeit denunzieren konnten. Nur wenige fanden einen sicheren Unterschlupf bei alten Freunden oder neuen Bekannten, um die Zeit im Versteck bis zur Befreiung zu überleben. Der Krieg war noch nicht vorbei und der lange Winter stand bevor. Von über 60 Jüdinnen und Juden ist bekannt, dass sie das Kriegsende überlebten. In den Tagen nach dem Aufstand wurden alle in Sobibor verbliebenen jüdischen Gefangenen ermordet.
Die Endphase der Mordstätte
Ende Oktober 1943 wurden 100 jüdische Gefangene der Mordstätte Treblinka nach Sobibor gebracht. Sie mussten bei den Abriss- und Verladearbeiten helfen. Die Gaskammern wurden gesprengt und die Massengräber eingeebnet und mit Bäumen bepflanzt. Nachdem diese Arbeiten beendet waren, wurden auch diese letzten jüdischen Gefangenen ermordet. Im Juli 1944 befreite die Rote Armee die Gegend um Sobibór.