Erna Verständig
geboren am 16. August 1924 in Kassel, Hessen, Deutschland
ermordet am 16. Juli 1943 in der deutschen Mordstätte Sobibor
Familie
Lebensdaten
Josef Verständig, Ernas Vater
Leo Verständig, Ernas Bruder
Biografie
Erna Verständig wurde 1924 als zweites Kind von Hedwig und Josef Verständig geboren, ihr Bruder Leo war bereits 1922 geboren worden. Die Familie wohnte anfangs in der Kasseler Druselgasse 8, 1929 zogen sie in die Kasernenstraße 5. Ernas Vater war 1911 nach Kassel gekommen. Davor lebte er mit seiner ersten Frau Serka und ihren gemeinsamen vier Söhnen Markus, Max Hendel, Hermann und Siegmund seit 1903 in Plauen und Halberstadt. Kurz nach ihrer Ankunft in Kassel starb die Ehefrau Serka.
Die vier gemeinsamen Söhne wuchsen nach dem Tod der Mutter im Israelitischen Waisenhaus in Kassel auf. Drei von ihnen kamen später in den Todesstätten Auschwitz, Majdanek und Buchenwald ums Leben, nur Sohn Hermann überlebte durch seine Flucht in die USA den Holocaust. Ernas Vater Josef diente als Soldat im 1. Weltkrieg. 1920 heiratete er erneut. Aus der Ehe mit Hedwig Wekshendler gingen die beiden Kinder Erna und Leo hervor. Im Haus in der Kasernenstraße 5 betrieb Vater Josef ein Manufakturwarengeschäft, hauptsächlich handelte er mit Textilien.Sein ältester Sohn Markus aus erster Ehe arbeitete ebenfalls bei ihm im Geschäft.
In Kassel gab es vor 1933 eine der größten städtischen jüdischen Gemeinden des Reiches mit fast 3.000 Mitgliedern. Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner trugen zum wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Leben der Stadt bei. Das städtische Judentum setzte sich vor allem aus assimilierten und liberalen Jüdinnen und Juden, aber auch streng Gläubigen zusammen. In Kassel gab es seit Mitte des 19. Jahrhundert eine große Synagoge und eine kleine für orthodox orientierte Juden. Zum jüdischen Leben in Kassel zählten u.a. ein Krankenhaus, ein Altersheim, ein Waisenhaus, ein Kinderhort und eine jüdische Schule, die 1933 noch von 176 Kindern besucht wurde. Viele Gemeindemitglieder engagierten sich in zahlreichen Wohltätigkeits- und anderen Vereinen und Einrichtungen.
Auf Befehl von Reinhard Heydrich wurden Ende Oktober 1938 etwa 17.000 jüdische Menschen polnischer Herkunft und ohne deutschen Pass an die deutsch-polnische Grenze verschleppt, um nach Polen abgeschoben zu werden. Auch Josef Verständig musste Kassel verlassen und wurde in Bentschen (Zbąszyń) in einem Internierungslager auf der polnischen Seite inhaftiert. Erst im Sommer 1939 konnte er nach Kassel zurückkehren.
Mit Kindertransport in die Niederlande
Hedwig Verständig bemühte sich darum, ihre beiden Kinder mit Kindertransporten in den Niederlanden in Sicherheit zu bringen. Ende Juni 1939 konnten Erna und Leo Kassel Richtung Niederlande verlassen. Dort wurden die beiden Geschwister getrennt untergebracht.
Leo wohnte bis März 1940 in Amsterdam in der New Kerkstraat 119 bei der Familie Still. Am 20 März 1940 wurde er in das von der niederländischen Regierung eingerichtete Flüchtlingslager Westerbork gebracht. Das spätere polizeiliche Durchgangslager Westerbork war ab Oktober 1939 als Flüchtlingslager für aus Deutschland und Österreich geflohene verfolgte Menschen errichtet worden.
Erna lebte anfangs bei verschiedenen Familien in Bloemendaal und Amsterdam. Im Juli 1940 wurde sie in das Mädchenwaisenhaus in der Rapenburgerstraat 171 in Amsterdam eingewiesen. Das Waisenhaus wurde im Februar 1943 geschlossen. Erna wohnte noch für eine kurze Zeit in der Retiefstraße 18, wurde aber noch im Frühjahr 1943 in das polizeiliche Durchgangslager Westerbork eingewiesen.
Verschleppung nach Westerbork und Deportation
Das „Polizeiliche Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ diente als Konzentrationslager in Vorbereitung der Deportationen v.a. der jüdischen Flüchtlinge und niederländischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager. Von hier wurden zwischen 1942 und 1944 107.000 Jüdinnen und Juden in den Osten verschleppt – 19 Transporte mit über 34.000 Menschen verließen Westerbork mit dem Ziel Sobibor.
Erna traf in Westerbork ihren Bruder Leo nicht mehr an. Er war bereits am 28. September 1942 in das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, im heutigen Polen, deportiert und dort ermordet worden.
Auch Erna musste am 13. Juli 1943 mit 1987 anderen jüdischen Kindern, Frauen und Männern einen Zug besteigen. Dies war der 18. Transport, der das polizeiliche Durchgangslager Westerbork mit dem Ziel Sobibor verließ. Nach einer dreitägigen Fahrt in Viehwaggons erreichte der Zug am 16. Juli 1943 das deutsche Mordlager Sobibor, im heutigen Ostpolen. Erna Verständig wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft getötet. Keiner der 1988 jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus diesem Transport überlebte die Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Das Schicksal ihrer Eltern
Die Eltern von Erna und Leo flüchteten noch im Sommer 1939 nach Belgien, wie auch der Stiefbruder Max mit seiner Frau und ihrer kleinen Tochter. Am 8. September 1942 wurden ihre Eltern Hedwig und Josef Verständig aus dem SS-Sammellager Mechelen in Belgien in das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. In diesem Transport befanden sich insgesamt 1.000 Menschen. Nach mehrtägiger Fahrt erreichte der Zug Auschwitz-Birkenau, wo sie ermordet wurden.
Verwendete Dokumente und Literatur