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Philip Bialowitz ist verstorben

Philip Bialowitz ist verstorben

o (1)Einer der letzten überlebenden des Mordlagers Sobibór, Philip Bialowitz, ist am 6. August 2016 verstorben.

Philip Bialowitz, wurde am 25.12.1925 in Izbica, einem kleinen Schtetl im heutigen Ostpolen geboren. Nach der Besetzung Izbicas durch die Deutsche Wehrmacht, wurde in dem Schtetl ein Ghetto eingerichtet. Philips Mutter wurde bei einer „Aktion“ auf dem jüdischen Friedhof in Izbica von den Deutschen erschossen. Zusammen mit seinem Bruder und 2 Schwestern wurde er im April 1943 in einem Lkw nach Sobibor verschleppt. Bei ihrer Ankunft wurde Philip zusammen mit seinem älteren Bruder Symcha, der sich als Apotheker ausgab, zur Arbeit selektiert. Seine beiden Schwestern Brancha und Toba und seine kleine Nichte, wurden in die Gaskammern geschickt und ermordet. Über ein halbes Jahr mussten sie im Mordlager Sobibor, für die Deutschen unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Am 14. Oktober 1943 organisierten die jüdischen Gefangenen in Sobibor einen Aufstand. Es gelang den beiden Brüdern den Aufstand zu überleben, beide schlossen sich einer Gruppe Partisanen an und versteckten sich bei polnischen Bauernfamilien. Nur 50, der ca. 600 an der Flucht beteiligten Häftlinge, konnten den Krieg überleben. Philip Bialowitz verließ nach mehreren antisemitischen Vorfällen nach Kriegsende Polen und ging zusammen mit seinem Bruder Symcha und deren Frau nach Deutschland. Nach Aufenthalten in DP-Camps in Schlachtensee und Heidenheim, wo er als Assistent bei einem Zahnarzt arbeitete, verließ er Europa und wanderte 1950 in die USA aus. Hier gründete er eine Familie und arbeitete als Juwelier.

Philip Bialowitz sagten in mehreren, ab den sechziger Jahren geführten, Gerichtsprozesse gegen deutsche Täter und als Nebenkläger gegen John Demjanjuk aus. Als gefragter Zeitzeuge trat er in den letzten 30 Jahren in verschiedenen Ländern aus. Er fuhr oft in seine alte Heimat Polen und besuchte dabei die Gedenkstätte Sobibor, wo er interessierten Menschen seine Lebensgeschichte erzählte. Zusammen mit seinem Sohn Joseph veröffentlichte er ein Buch „A promise to Sobibor“ – sein Versprechen, der Welt zu erzählen, was in Sobibor passierte, löste er so ein. Das Buch erschien bisher in englischer und polnischer Sprache.

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Tomasz Blatt, Philip Bialowitz, Jules Schelvis am 14. Oktober 2013 zum 70. Jahrestag des Aufstandes in Sobibor

In unserer Arbeit in den letzten zwanzig Jahren trafen wir immer wieder auf Philip Bialowitz. Ob in Izbica oder bei Gedenkfeierlichkeiten in der Gedenkstätte Sobibor. Im September 2013 sprach er auf einer Veranstaltung des Bildungswerks S. Hantz in Berlin. Am 6. August 2016 verstarb Philip Bialowitz im Beisein seiner Familie in Florida. Philip Bialowitz wird uns fehlen!

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Jules Schelvis verstorben

Wie geht es Jules, was macht er, welche Pläne hat er – das war immer Thema bei den Treffen oder Gesprächen mit unseren Freunden der Stichting Sobibor, die Jules Arbeit schon seit Jahren weiter führen. Zuletzt hieß es, er verlässt das Haus nicht mehr und wir sorgten uns … und hofften, dass ihn die geliebte Musik durch seine Tage begleitet, dass er malt und hin und wieder in seiner Papierwerkstatt arbeitet …

Jules SchelvisWir kennen Jules seit 1998. Wir haben viel mit ihm diskutiert. Wir haben mit ihm die Gedenkstätte Sobibór besucht. Er hat uns das jüdische Amsterdam gezeigt und Westerbork. Immer leise und liebenswert, überzeugend und mit der gewohnten Qualität.

Wir kennen Jules als DEN Fachmann für das ehemalige Vernichtungslager Sobibor, dessen Fakten er zusammengetragen und aufgeschrieben hat, ungeheuerlich genau in der Verantwortung des Vermächtnisses der Opfer. Jules war für uns ein schwerer Gesprächspartner, er forderte genaue Fragen und er gab präzise und differenzierte Antworten. Abweichende Meinungen mussten fundiert begründet sein. Er war ein erfreulich genauer Gesprächspartner. Wir haben viel von ihm gelernt. Die Ehrendoktorwürde der Universität Amsterdam, über die wir uns mit ihm zusammen so gefreut haben, hat gerade er zurecht verdient.

Ein wichtiger Punkt dieser fruchtbaren Zusammenarbeit mit Jules und der Stichting Sobibor war die Neuauflage seines Buches ‚Vernichtungslager Sobibór‘ in deutscher Sprache, das in Kooperation mit dem Verlag reihe antifaschistische Texte in Hamburg 2003 erscheinen konnte. Wir haben mit Jules in Deutschland eine Lesereise veranstaltet.

Jules begleitete uns nach Sobibór zur Eröffnung der Gedenkallee auf dem Gelände der Gedenkstätte. Das war ebenfalls 2003 und der Ausgangspunkt der Zusammenarbeit zwischen uns und der Stichting Sobibór. Dieses Jahr wird die Bildungsreise zu den Lagern der Aktion Reinhardt in Ostpolen gemeinsam mit der Stichting Sobibor zum 13. Mal stattfinden.

Wir trauern um einen zuverlässigen Diskussionspartner, um einen wichtigen Ansprechpartner zu Sobibór, zu den Vernichtungslagern, und auch zum Holocaust. Wir trauern um einen lieben Freund…

eine kurze Biographie zu Jules

Jules Schelvis wurde am 7. Januar 1921, als Sohn von Esther und Jacob Schelvis, im jüdischen Stadtteil in Amsterdam geboren. Sein Vater verdiente das Geld für die Familie als Diamantschleifer. Zusammen mit seiner älteren Schwester Milly, zog die Familie einige Jahre später in eine Wohnung im Süden von Amsterdam. Nach seinem Schulabschluss machte er eine Ausbildung zum Drucker. Er lernte Rachel Borzykowski kennen und lieben. Die beiden heirateten, in die durch die von den deutschen Besatzern hervorgerufenen Wirren des Krieges und der Judenverfolgung, am 18. Dezember 1941 in der Synagoge in der Rapenburgstraat in Amsterdam.

Bei einer Razzia der grünen Polizei wurden sie verhaftet und am 25. März 1943 nach Westerbork gebracht. Jede Woche verließ, seit Mitte 1942, mindestens 1 Zug das Lager, in Richtung der Vernichtungslager im Osten. Mit der Hoffnung, in ein Arbeitslager zukommen, mussten auch Jules, seine Frau Rachel und deren Familie am 1. Juni 1943 einen der Viehwaggons besteigen. Nach einer dreitägigen Fahrt in den überfüllten Waggons erreichten sie den Bahnhof des Mordlagers in Sobibor. Jules und Rachel verloren sich kurz nach dem Aussteigen an der Rampe aus den Augen. Nur durch Zufall wurden er und weitere Männer zum Arbeiten selektiert. Dies hieß für ihn den Beginn einer Odyssee durch mehrere deutsche Konzentrations- und Arbeitslager. Für ihn eine Chance zu überleben, im Gegensatz zu seiner Frau Rachel und ihrer Familie, die wenige Stunden nach ihrer Ankunft im Mordlager in den Gaskammern ermordet wurden. Erst im März 1945 wurde Jules von französischen Truppen aus dem Konzentrationslager in Vaihingen befreit.

Nach seiner Rückkehr in die Niederlande heiratete er 1946 Johanna Leevendig, mit der er 53 Jahre lang eine glückliche Ehe führte. Sie bekamen 2 Kinder, später 3 Enkel und 3 Urenkel. 2001 starb seine Frau Johanna.

Schon bei seiner Typhusbehandlung, nach der Befreiung in Vaihingen, fing Jules an seine Erlebnisse aus den Konzentrationslagern niederzuschreiben. Mit seiner Arbeit als Drucker und diversen kreativen Hobbys unterdrückte er anfangs seine schrecklichen Erinnerungen, aber diese Erfahrungen blieben immer ein Teil von ihm. Jules beschäftigte sich, nach seinem Ruhestand, jahrzehntelang lang, vor allem mit der Geschichte des Mordlagers Sobibor. Er führte Interviews mit Überlebenden, recherchierte in vielen Archiven und teilte sein enormes Wissen bei Vorträgen und Bildungsreisen mit interessierten Menschen. In mehreren Prozessen gegen die Wachmannschaften von Sobibor trat er als Nebenkläger auf. Aus seinen Forschungen veröffentlichte er das Standartwerk „Vernichtungslager Sobibor“ über die Geschichte des Mordlagers. Für seine Arbeit 2008 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität von Amsterdam.

Rachel Schelvis31999 gründete er die Stichting Sobibor in Amsterdam, die die Erinnerung an die mehr als 33.000 Menschen aus den Niederlanden aufrecht erhalten soll, die in Sobibor auf grausame Weise ermordet wurden. Bei der Einweihung der Gedenkallee im Jahre 2003 war er anwesend. Hier stellte er auch einen Stein zur Erinnerung an seine ermordete Frau Rachel auf.

2014 begab er sich auf eine letzte große Reise. Zusammen mit dem Nationaal Symfonisch Kamerorkest, gab der damals 93-jährige Jules 3 Konzerte in Amsterdam, Berlin und Lublin. Untermalt von der Musik des Orchesters erzählte er beeindruckend seinen Weg, den er mit seiner Frau Rachel 1943, von Amsterdam nach Sobibor aufnehmen musste.

Am 3. April 2016 verstarb Jules in Amstelveen.

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Thomas Blatt verstorben