Flora Speier
geboren am 23. Oktober 1873 in Melsungen, Hessen, Deutschland
ermordet am 21. Mai 1943 in der deutschen Mordstätte Sobibor
Familie
Lebensdaten
Flora mit ihrem Sohn Leo und ihrer Mutter
ihr Sohn Leo
der Grabstein ihres Mannes Isaak auf dem jüdische Friedhof in Melsungen
Das Haus der Familie Speier in der Kasseler Straße in Melsungen (2. Haus linke Seite)
Biografie
Flora Abt wurde als jüngste Tochter von Leyser und Jettchen Abt im hessischen Melsungen geboren und wuchs zusammen mit ihren drei älteren Brüdern auf.
Seit Mitte des 16. Jahrhunderts lebten in Melsungen bereits Jüdinnen und Juden. Zur jüdischen Gemeinde zählte eine Religionsschule, eine Synagoge und es gab den jüdischen Friedhof. Um 1900 waren 116 der Einwohner Juden. 1933 lebten noch 76 Jüdinnen und Juden in der Stadt.
1892 heiratete Flora Abt den deutlich älteren und ebenfalls aus Melsungen stammenden Isaak Speier. Isaak Speier erbte im Jahr 1903 nach dem Tod seines Vaters das stattliche Haus in der Kasseler Straße 28, das sein Großvater 1842 gekauft hatte. Isaak Speier führte den Lederwarenhandel seines Vaters weiter. Im Oktober 1905 wurde ihr gemeinsamer Sohn Leo geboren.
1925 starb Isaak Speier, sein Grabstein steht auf dem jüdischen Friedhof in Melsungen. Flora Speier war die Alleinerbin und übertrug 1927 Haus und Geschäft an ihren Sohn Leo. Dieser verschuldete sich aus nicht bekannten Gründen mit hohen Summen. Er musste 1932 Konkurs anmelden. Leo Speier floh bereits kurz nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Mai 1933 nach Amsterdam. 1935 kam es zur Zwangsversteigerung des Hauses und des Ladens, der Zuschlag ging für 12.000 RM an Gustav Köhler aus Melsungen.
Flora Speier blieb vorerst in Melsungen und wohnte in der Schlossstraße und in der Kasseler Straße 1. Flora Speier wurde noch 1935 als Mitglied des israelitischen Müttervereins in einer entsprechenden Liste aufgeführt.
Flucht in die Niederlande
Am 16.1.1939 floh die nun bereits sechsundsechzigjährige Flora Speier zu ihrem Sohn nach Amsterdam. Leo Speier hatte 1935 geheiratet und wohnte mit Frau und Sohn, geb. 1935, und nun mit seiner Mutter Flora in Amsterdam. Die letzte Wohnanschrift der Familie war in der Gaaspstraat 54 I.
Mit ihnen lebten zu diesem Zeitpunkt bis zu 50.000 deutsche Jüdinnen und Juden in den Niederlanden, sie waren seit 1933 legal oder illegal eingewandert. Mit der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht, verschlechterte sich die Situation der Flüchtlinge drastisch. Die Ausgrenzung, Entrechtung, Beraubung und Verfolgung, die die Juden und Jüdinnen bereits im Deutschen Reich mitgemacht hatten, mussten sie nun ein zweites Mal in den Niederlanden erleben.
Flora Speier erhielt im Frühjahr 1943 die Aufforderung, sich in der Hollandsche Schouwburg zu melden. Dieses ehemalige Theater diente den deutschen Besatzern seit Sommer 1942 als Sammelstelle für die Jüdinnen und Juden aus Amsterdam. Wenn sich diese nicht freiwillig in der Schouwburg meldeten, wurden sie bei Razzien, in ihren Wohnungen, an ihren Arbeitsplätzen oder auf der Straße von deutschen oder auch niederländischen Polizisten aufgegriffen und zur Sammelstelle gebracht und weiter in das „Polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork“ verschleppt.
Westerbork diente als Konzentrationslager in Vorbereitung der Deportationen v.a. der jüdischen Flüchtlinge und niederländischen Jüdinnen und Juden in die deutschen Vernichtungslager. Von hier wurden zwischen 1942 und 1944 insgesamt 107.000 Jüdinnen und Juden in den Osten verschleppt - 19 Transporte mit über 34.000 Jüdinnen und Juden verließen Westerbork mit dem Ziel Sobibor.
Flora Speier wurde am 18. Mai 1943 mit dem 12. Transport, zusammen mit 2501 weiteren Jüdinnen und Juden in Viehwaggons nach Sobibor verschleppt und drei Tages später unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sobibor ermordet.
Flora Speiers Sohn Leo, seine Frau Jetty und ihr Sohn Isaac wurden ebenfalls verhaftet und nach Westerbork verschleppt. Am 8. Februar 1944 wurden sie in das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert und am 11. Februar 1944 ermordet.
Die Brüder von Flora Speier
Flora Speier wuchs mit ihren drei älteren Brüdern auf. Ihr ältester Bruder Abraham verstarb mit 75 Jahren 1935 in Berlin, Siegfried wurde als 72-Jähriger ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt und kam dort ums Leben, seine Frau Fanny kam im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz um. Julius wurde ebenfalls nach Theresienstadt verschleppt, überlebte und verstarb nach 1945 in der Schweiz; seine Frau hatte Theresienstadt nicht überlebt.
Verwendete Dokumente und Literatur
Der Gedenkstein in Sobibor wurde von Bernd Köhler, dem Sohn des Nachbesitzers des Hauses, gespendet; der sich intensiv mit der Geschichte seines Elternhauses beschäftigt hat -> Link
Bundesarchiv Gedenkbuch
Joods Monument
Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012