Erna Rosa Michel
geboren am 4. November 1894 in Volkmarsen, Hessen, Deutschland
ermordet: 03. Juni 1942 in der deutschen Mordstätte Sobibor
Familie
Lebensdaten
3 Generationen der Familie Michel, Mutter Betty, Erna und ihre Tochter Lieselotte
Halskette von Lieselotte Michel, ihre Mutter hatte sie kurz vor der Deportation dem Nachbarkind, Lieselottes Freundin, Josephine Langer geschenkt
Biografie
Die Familie Meyerhoff gab es seit Anfang des 18. Jahrhunderts im nordhessischen Volkmarsen. Seit den 1830er Jahren gab es am Ort eine Synagoge, die 1936 verkauft wurde. 1932 existierten zwei jüdische Wohltätigkeitsvereine und es gab einen Lehrer für jüdische Religion.1933 lebten noch 34 Jüdinnen und Juden in Volkmarsen. Sie trieben Handel oder waren Handwerker. Fünf jüdische Männer aus Volkmarsen fielen im Ersten Weltkrieg.
Erna Meyerhoff heiratete am 23. Oktober 1925 den Witwer Siegmund Michel aus Vetzberg. Sie wohnten in Volkmarsen bei ihren Eltern in der Geilingstrasse 11. Dort betrieben die Eltern in ihrem eigenen Haus seit vielen Jahren einen Gemischtwarenladen. 1926 wurde ihre Tochter Lieselotte geboren. Acht Jahre später, am 1. März 1934, beging Siegmund Michel Selbstmord im dreißig Kilometer entfernten Korbach im „Hotel Zur Post“.
Die nun verwitwete Erna Michel und ihre Tochter Lieselotte blieben bei den Eltern wohnen. Lieselotte wurde 1932 in die Katholische Volksschule Volkmarsen eingeschult. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 und den damit einhergehenden Boykottmaßnahmen, Handels-, Arbeitsverboten und Zwangsabgaben gegen Jüdinnen und Juden, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie Michel/Meyerhoff schnell. Immer weniger Kunden wagten es, in ihrem Laden einzukaufen. Der Familie wurde die Existenzgrundlage entzogen
Nach 1938
In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde ihr Haus von der SA überfallen, demoliert und ausgeraubt, unterstützt von Volkmarser Nachbarn. In den Wochen nach diesen Übergriffen wurde ihr Haus staatlich konfisziert. Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Volkmarsens, auch die Familie Michel und Meyerhoff, wurden beengt im ehemaligen jüdischen Schulhaus einquartiert. Für die hier zusammen gepferchten Menschen galten eine Reihe von Einschränkungen. Es gab ein nächtliches Ausgangsverbot. Ihnen wurden nur sehr knappe Lebensmittelmarken zugeteilt, sie erhielten weder Milch, noch Fleisch, noch Eier. Einige wenige christliche Volkmarser Bürgerinnen und Bürger unterstützten ihre ehemaligen jüdischen Nachbarn.
Einige europäische Länder nahmen nach der Pogromnacht schnell und unbürokratisch jüdische Kinder auf. Von einer befreundeten Familie am Ort hörte Erna Michel von den Kindertransporten in die Niederlande, wo die Kinder sogar eine Schule besuchen könnten. Am 3. Januar 1939 fuhr die 13-jährige Lieselotte, zusammen mit insgesamt 150 jüdischen Kindern ins niederländische Bergen aan Zee. Unter ihnen befanden sich Ilse und Inge Lichtenstein, ebenfalls aus Volkmarsen. Bergen aan Zee war nicht Lieselottes letzte Station: ab März 1939 kam sie in ein Kinderheim in Amsterdam, danach lebte sie in verschiedenen Pflegefamilien in Amsterdam und Haarlem.
Deportation der Mutter und der Großeltern
Ab November 1941 setzten die Deportationen von Jüdinnen und Juden in den Osten ein. Den Betroffenen wurde eine „Umsiedlung“ mit einer möglichen Existenzgründung vorgegaukelt. Aus Kassel fuhren insgesamt drei große Deportationszüge in den Osten.
Die in Volkmarsen verbliebene Mutter Rosa Erna Michel wurde Ende Mai 1942 in die „Sammelstelle“ in der Turnhalle des Schulkomplexes in der Kasseler Schillerstraße bestellt. Kurz vor ihrer Abfahrt hatte sie eine Kette ihrer Tochter Lieselotte an deren Freundin verschenkt, die erhalten blieb. Rosa Erna Michel wurde in der „Sammelstelle“ registriert und ihr Gepäck durchsucht. Am Morgen des 1. Juni 1942 wurde sie mit insgesamt 508 Jüdinnen und Juden aus dem Bezirk der Geheimen Staatspolizei Kassel zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Die Streckenführung von „Da 57“ verlief von Hanau u.a. über Kassel und Halle nach Sobibor. Mit diesem Deportationszug wurden etwa 1.000 Juden und Jüdinnen aus über siebzig verschiedenen Orten vor allem aus Hessen und Sachsen-Anhalt in den Osten verschleppt.
Der Zielbahnhof des Transportes war Izbica. Izbica war ein jüdisches Sztetl im „Distrikt Lublin“, mit etwa 7.000 Einwohner*innen, davon 80 Prozent jüdischen Glaubens. Izbica war für insgesamt 27.000 Jüdinnen und Juden eines von über zwanzig „Durchgangsghettos“ im „Distrikt Lublin“ im Generalgouvernement. Hier wurden die verschleppten Menschen für die geplante Ermordung konzentriert und in neue Transporte zusammengefasst, damit einhergehend wurden die Todgeweihten ihrer letzten kläglichen Habe beraubt. In Izbica kamen etwa 7.500 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich an, etwa 20.000 kamen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Luxemburg.
Allerdings war das erste Ziel des Sonderzugs „Da 57“ nicht wie angegeben Izbica, sondern das Anschlussgleis zum Zwangsarbeitslager „Alter Flughafen“ in Lublin. Dort wurden aus dem Transport etwa 115 junge, starke Männer zur Zwangsarbeit für das Todes- und Konzentrationslager Majdanek ausgewählt und hier wurden die Gepäckwagen mit dem schweren Gepäck abgekoppelt.
Der Sonderzug „Da 57“ fuhr vom Anschlussgleis „Alter Flughafen“ nicht wie angegeben nach Izbica, sondern auf direktem Weg nach Sobibor, wo er am 3. Juni 1942 ankam. Rosa Erna Michel aus Volkmarsen wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft in der deutschen Mordstätte Sobibor ermordet.
Die Eltern von Rosa Erna Michel, Albert und Betty Meyerhoff, wurden drei Monate später, am 8. September 1942, von Kassel aus nach Theresienstadt und am 29. September 1942 ins Todeslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Sie waren 74 und 76 Jahre alt.
Deportation nach Sobibor
Ein dreiviertel Jahr nach ihrer Mutter, am 23. März 1943, musste Lieselotte Michel in den Niederlanden zusammen mit insgesamt 1250 Jüdinnen und Juden vom „Polizeilichen Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ aus ebenfalls die Fahrt nach Sobibor antreten. Die Fahrt im Viehwaggon dauerte drei Tage. Lieselotte Michel wurde direkt nach ihrer Ankunft, am 26. März 1943, im Todeslager ermordet. Lieselotte Michel fand ihren Tod zusammen mit der Großmutter ihrer niederländischen Pflegefamilie. Sie fuhren im selben Zug nach Sobibor. Einige Wochen später wurden auch ihre Pflegeeltern mit ihrer kleinen Tochter nach Sobibor verschleppt. Sie wurden am 16. Juli 1943 in Sobibor ermordet
Verwendete Dokumente und Literatur
Website des Archivs ITS Arolsen
Website Gedenkbuch des Bundesarchivs
Website Dokin - Informationen zu Kinder aus Kindertransporten in die Niederlande
Website Statistik des Holocaust
Website Alemmannia Judaica-Volkmarsen
Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005
Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018
Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998
Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012
Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang Prinz, Ein Gedenkbuch, 1982
Lilienthal, Marion u.a. (Hg.), Auf Omas Geburtstag fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt, 2013