top of page

Moritz Hamberg

geboren am 15. Juli 1885 in Breuna, Hessen, Deutschland
ermordet am 3. Juni 1942 in der deutschen Mordstätte Sobibor

Familie

Ehefrau: Betty Hamberg, geborene Pulver geboren am 11. September 1898 in Westheim, Bayern, Deutschland ermordet am 3. Juni 1942 in der Mordstätte Sobibor Tochter: Susanne `Susi´ Hamberg geboren am 11. August 1929 in Breuna, Hessen, Deutschland ermordet am 3. Juni 1942 in der Mordstätte Sobibor Tochter: Irmgard `Irma´Hamberg geboren am 5. Juni 1923 in Breuna, Kreis Kassel ausgewandert 1940 in die USA gestorben am 19. Januar 2006 in den USA

Lebensdaten

1885 Geburt in Breuna ca 1914 Teilnahme am 1. Weltkrieg I 1922 Heirat mit Betty Hamberg, geb. Pulver aus Westheim 1923 Geburt der Tochter Irmgard 1929 Geburt der Tochter Susanne 1938 Verhaftung & Verschleppung ins Konzentrationslager Buchenwald ca 1939 Enteignung und Verlust ihres Geschäftes 1939 Einquartierung bei ihren jüdischen Nachbarn 1939 Zwangsarbeit beim Autobahnbau 1940 Schulbesuch ihrer Tochter in Kassel 1940 Flucht von Tochter Irmgard in die USA 1942 Verschleppung und Ermordung in Sobibor
Porträtfoto
Porträtfoto

Porträtfoto

Die Töchter von Moritz Hamberg
Susi Hamberg – vorne rechts Irmgard Hamberg – hinten links


Porträtfoto

Porträt der Tochter Susi


Porträtfoto

Porträtfoto

Biografie

Die Familie Hamberg lebte seit Beginn des 19. Jahrhunderts im nordhessischen Breuna. Von 1876 bis 1938 gab es eine kleine Synagoge am Ort. 1933 hatte Breuna noch 13 jüdische Einwohner. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde war 50 Jahre lang bis zu seinem Tod 1934 Baruch Hamberg, der Vater von Moritz Hamberg. Moritz Hamberg gehörte der siebten Generation seiner Familie an, er hatte zehn Geschwister.


Moritz lernte Betty Pulver aus Westheim kennen und beide heirateten 1922,  zusammen mit ihr und den beiden Töchtern wohnten sie  in Breuna im Kirchweg 6, sie betrieben eine kleine Landwirtschaft und einen Laden. Der ledige Bruder Hermann Hamberg wohnte ebenfalls bei ihnen im Haus. Die älteste Tochter Irmgard, einzige Überlebende der Familie, beschrieb anschaulich in einer Aussage die erfahrene Ausgrenzung und Entrechtung.




Schikane und Verfolgung in Breuna

Anlässlich der Reichspogromnacht wurde Moritz Hamberg und seine Familie festgenommen, sie mussten eine Nacht im Gefängnis in Volkmarsen verbringen. Frau und Kinder wurden am nächsten Tag entlassen, er wurde ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und erhielt dort die Häftlingsnummer 25784. Aus Buchenwald kehrte er nach einigen Wochen gealtert, ergraut und verstummt in sein Dorf zurück; als aktiver Teilnehmer am I. Weltkrieg war er vorzeitig entlassen worden. In den folgenden Jahren verlor die Familie ihren Laden, das Haus und ihre Grundstücke wurden enteignet. Sie mussten zu ihren jüdischen Nachbarn ziehen. Moritz Hamberg wurde in Kassel zur Zwangsarbeit im Straßenbau eingesetzt. Die jüngere Tochter Susanne wohnte bereits ab 27.10.1940 in einem „Judenhaus“ in der Kasseler Großen Rosenstraße 22, vermutlich um weiter die Schule besuchen zu können. Die ältere Tochter Irmgard konnte der fortschreitenden antisemitischen Verfolgung rechtzeitig entkommen: Amerikanische Verwandte mütterlicherseits hatten ihr die notwendige Bürgschaft ausgestellt, Voraussetzung für ein Visum für die Vereinigten Staaten, wohin sie im August 1940 floh.




Raub und Deportation nach Sobibor

Für die zweite von den drei großen zentral organisierten Deportationen aus dem Regierungsbezirk Kassel stehen sechs Personen aus Breuna auf einer nach dem Krieg erstellten Deportationsliste. Die Familie Moritz Hamberg, Vater, Mutter und Tochter Susanne, und der jüngere Bruder des Vaters wurden am 31. Mai 1942 in die „Sammelstelle“, die Turnhalle der Wörth-Schule in der Kasseler Schillerstraße, bestellt.  Hier wurden sie registriert und ihr Gepäck durchsucht. Für die „Aussiedlung in den Osten“ waren fünfzig Kilogramm Gepäck und fünfzig Reichsmark pro Person erlaubt. Das gesamte vorhandene Hab und Gut der Familie wurde staatlich konfisziert.


Die Familie Moritz Hamberg wurde am Morgen des 1. Juni 1942 mit insgesamt 508 jüdischen Kindern, Frauen und Männern aus dem GeStaPo-Bezirk Kassel von der „Sammelstelle“ in der Schillerstraße zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Die Streckenführung von „Da 57“ verlief von Hanau u.a. über Kassel und Halle nach Sobibor. Mit diesem Deportationszug wurden etwa 1000 Juden und Jüdinnen aus über 70 verschiedenen Orten v.a. in Hessen und Sachsen-Anhalt in den Osten verschleppt.


Der Zielbahnhof des Transportes war Izbica. Izbica war ein jüdisches Schtetl im „Distrikt Lublin“, mit etwa 7.000 Einwohner*innen, davon 80 Prozent jüdischen Glaubens. Izbica war für insgesamt 27.000 Jüd*innen eines von über zwanzig „Durchgangsghettos“ im Distrikt Lublin im Generalgouvernement. Hier wurden die verschleppten Jüd*innen für die geplante Ermordung konzentriert und in neuen Transporten zusammengefasst, damit einhergehend wurden hier die Todgeweihten ihrer letzten kläglichen Habe beraubt.  In Izbica kamen etwa 7.500 Menschen Jüd*innen aus dem Deutschen Reich an, etwa 20.000 kamen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Luxemburg.


Allerdings war das erste Ziel des Sonderzuges “Da 57“ nicht wie angegeben Izbica, sondern das Anschlussgleis zum Zwangsarbeitslager „Alter Flugplatz“ in Lublin. Dort wurden aus dem Transport etwa 115 junge, starke Männer zur Zwangsarbeit für das Todes- und Konzentrationslager Majdanek ausgewählt und hier wurden die Gepäckwagen mit dem schweren Gepäck abgekoppelt.


Dieser Zug fuhr anschließend direkt nach Sobibor weiter, wo er am 3. Juni 1942 ankam; ab Juni 1942 fuhr kein Deportationszug mehr zu einem Transitghetto.  Die verschleppten Mitglieder der Familie Hamberg aus Breuna wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sobibor ermordet.





Irmgard Hambergs Erinnerungen an ihre Kindheit in Breuna

„Mein Name ist Irma Meyer. Ich bin 1923 in Breuna, im Bezirk Kassel, geboren, die Tochter von Moritz und Betty Hamberg und Enkelin von Baruch Hamberg. Ich hatte eine Schwester, Susanne, die 1929 geboren war. Meine Familie hat viele Generationen in Breuna gelebt. Unser Familienname ist nach dem Berg “Hamberg” benannt worden, als es den Juden am Anfang des 19. Jahrhunderts erlaubt wurde, Nachnamen anzunehmen. Bis zur Hitler Zeit hatten wir ein gutes Verhältnis mit unseren Mitbürgern. Wir hatten etwas Landwirtschaft und ein kleines, aber gutgehendes Geschäft, welches vielen Kunden in der Umgebung bedient hat.

Als Hitler zur Macht kam haben diese Leute, die uns freundlich gesonnen waren, sich plötzlich gegen uns gewandt und uns als Feinde angesehen. Die Maßnahmen gegen die Juden wurden stetig härter. Zum Beispiel: Wir durften nicht nach acht Uhr abends auf der Straße sein, oder mussten eine besondere Erlaubnis haben, etwas Wichtiges zu erledigen. Wir konnten nur zweimal die Woche unsere Lebensmittel einkaufen und dann nur morgens vor acht Uhr, damit wir nicht mit “Ariern” in Kontakt kämen. Keiner durfte uns in irgendeiner Weise behilflich sein. Für mich persönlich wurden die Schuljahre unerträglich. Ich war zu dieser Zeit das einzige jüdische Kind in der Schule, und musste alleine in einer Ecke sitzen, getrennt von den anderen Kindern. Während der “Religionsstunde” war ich entschuldigt, aber es wurde keine Religion gelehrt, sondern Hass gegen die Juden verbreitet. Bilder aus dem “Stürmer” wurden gezeigt. Die Kinder waren so aufgehetzt, dass jedes Mal, wenn ich zur Klasse zurückkehrte, sie mich angespuckt und auch oft meine Kleider zerrissen haben. Zur Mittagsstunde wurde mir das Butterbrot aus der Hand geschlagen. Täglich musste ich mir diese hasserfüllten Worte anhören, und meine Eltern wussten nie, in welcher Verfassung ich nach Hause kam.

Dann kam der 9. November 1938: Wir hörten Gerüchte, dass etwas Schlimmes passieren würde. Aber wir hatten keine Ahnung, was zu erwarten war. Früh am Morgen wurden mein Vater und Viktor Braunsberg von der Polizei abgeholt, die uns keine Auskunft gab, wo sie ihn hinführten. Ab und zu während des Tages hat man Steine gegen unser Haus geworfen. Wir fragten die einzige andere jüdische Familie in Breuna, Emmy Braunsberg, mit ihren alten Schwiegereltern, zu uns zu kommen, um aneinander Trost zu finden. Um uns zu beschützen, haben wir oben in einem Zimmer nach hinten gesessen, und einen Schrank vor das Fenster gestellt, damit wir nicht von den Steinen getroffen wurden. Eine Menschenmenge hatte sich draußen angesammelt. Wir hörten die Fensterscheiben fallen. Wir hatten große Angst und wussten kaum, was zunächst geschehen würde. Dann, mit einem furchtbaren Krach, kam die Nazihorde durch die Türe, mit Beilen, Latten und Stöcken bewaffnet, und haben alles in ihrem Weg zerbrochen. Wir wurden aus dem Haus kommandiert, auf einen Lastwagen geladen, wo wir zusehen mussten, wie unser Haus zerstört wurde. Zur selben Zeit sahen wir unsere Synagoge in Flammen aufgehen. Diesen Anblick werde ich nie vergessen! Wir wurden dann nach Volkmarsen zum Polizeiamt gefahren und in sogenannte Schutzhaft genommen, wo wir einige Tage in einer Zelle verbrachten. Es war besonders schwer für das alte Ehepaar, Mathias und Helene Braunsberg, die damals fast 80 Jahre alt waren. Wir wurden dann entlassen und durften wieder nachhause gehen. Was wir vorfanden, war unbeschreiblich. Alles war vernichtet. Noch nicht mal eine Tasse oder ein Glas war da zum Trinken. Die Bettkissen waren aufgerissen und Federn waren überall. Alle Möbel waren zerhackt. Es dauerte Tage, bis wir die Trümmer aufgeräumt hatten. Während dieser ganzen Zeit wussten wir nicht, wo mein Vater war. Dann hörten wir, dass er in Buchenwald wäre, und freigesetzt würde, wenn er beweisen könnte, dass er im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet wurde. Wir schickten ihm die Beweise, und nach ungefähr vier Wochen kam mein Vater zurück, ein alter, gebrochener Mann. Ich konnte ihn kaum wiedererkennen. Er hatte sehr in Buchenwald gelitten, konnte aber nicht darüber sprechen.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, mussten wir unser Haus verlassen und bei den Braunsbergs einziehen. Das Haus wurde uns einfach weggenommen und Leuten gegeben, die von der französischen Grenze zurückziehen mussten. In der Zwischenzeit hatten wir unser Geschäft verloren. Mein Vater und Viktor Braunsberg wurden zur Straßenarbeit in Kassel gezwungen. Das Leben wurde täglich schwerer für uns. Wir hatten dann nur den einzigen Wunsch, das Land zu verlassen, und haben uns sehr bemüht, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Ich war die erste in meiner Familie, die Bürgschaft bekam. Meine Wartenummer beim Amerikanischen Konsulat war viel niedriger als die meiner Eltern und Schwester. Es ist mir gelungen, im August 1940 wegzukommen. Da durch den Krieg die Reise über den Atlantik gesperrt war, musste ich den viel weiteren Weg nach Osten wählen, und zwar durch Litauen, Russland, Sibirien, Mandschurei und Japan, dann über den Stillen Ozean nach Seattle, USA. Die Reise dauerte ungefähr vier Wochen, bis ich in New York ankam.“


Quelle:

Lebenserinnerungen Irmgard Meyer, geborene Hamberg, 1988

in: Ernst Klein, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012




Verwendete Dokumente und Literatur

Website des Archivs ITS Arolsen

Website Gedenkbuch des Bundesarchivs

Website Statistik des Holocaust

Website Alemmannia Judaica Breuna

Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018

Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005

Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998

Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012

Lilienthal, Marion u.a. (Hg.), Auf Omas Geburtstag  fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt,  2013

Magistrat der Stadt Kassel – Stadtarchiv, Hg., Namen  und Schicksale der Juden Kassels 1933 – 1945 Lebenserinnerungen Irmgard  Meyer, geborene Hamberg, 1988

Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang Prinz, Ein Gedenkbuch, 1982

Die Familie Hamberg aus Breuna, jimh.lima-city.de


Interview:

Interview mit Irma Meyer, geb. Hamberg, USC Shoah Foundation; 21.5.1997, Pennsylvania, USA - online verfügbar

bottom of page